Die Welt entdecken

Publié le par rose

Ganzs im Glück 

Ouides-2007--36-.jpgHeute, einmal um die Welt.
Ich zog aus, sie zu entdecken. Nicht mehr und nicht weniger wollte ich: die Welt.
Unterwegs vom einen Ende zum anderen, einmal um den Globus. Nicht schlecht. Ich wollte einige Abenteuer zu erzählen haben. Aber ich werde jetzt nicht damit anfangen, sondern diesmal geht es um mehr.

Liebe, Glück oder Erfüllung haben schon andere gesucht. Nichts dagegen meine Sehnsucht. Ich will mehr.

Was wäre das Paradies? Ah. Pah, nichts gegen das Paradies. Nein, im Gegenteil, ich wäre die erste, die einzieht! Aber um ehrlich zu sein, will ich mehr leben.

Zunächst gibt es Dringlicheres: Meine obdachlosen Freunde wollen keine Suppe mehr. Ich muss mir etwas anderes einfallen lassen, wenn ich sie weiter sehen will. Sie interessieren sich nicht wirklich für mich. Zunächst war ich berührt von meiner Großzügigkeit. Selbstlos habe ich mich der Nächstenliebe hingegeben. Meine Zeit habe ich geopfert. Ich wurde reich belohnt. Der Erfolg blieb nicht aus. Von Tag zu Tag kamen mehr. Ich wollte mein Erbe teilen. So habe ich es gelernt. Also, nur zu! Teilen wird belohnt. Du musst nur wissen, mit wem und in welchem Mass. Schmarotzer gibt es überall. Ich entscheide also von Anfang an, wer zu den Auserwählten gehört. Dabei bin ich so großzügig, dass das Gefühl von Größe und Erhabenheit nicht ausbleibt. Oh, wie ich es liebe, wenn ich in meiner Bescheidenheit nicht unvernünftig austeile, sondern gezielt. Das ist eine Gabe. Sie stammt nicht von meinem Vater. Sie ist kein Erbe. Ich habe keine zehn Talente, die ich vermehren müsste.

Alles, was ich mache, ist reine Entdeckungslust. Vielleicht ist etwas Erfindergeist dabei. Doch, ja, ich muss zugeben, ich habe die Welt nicht nur entdeckt, ich habe sie berreichert und ich füge ihr täglich etwas zu. Das kann man mir vorwerfen. Es könnte der Welt schaden, dass sie mir begegnet ist. Sie selbst müsste sich dafür nicht entschuldigen. Sie ist ja einfach nur da. Sie kann nichts für ihre Anwesenheit.
Es liegt alles an mir.
Es ist meine Verantwortung, ob ich mich in sie verliebe oder sie verderbe. Ich könnte mich auch selbst ins Verderben schicken. Fragt sich, wo die Schuld größer ist. Wo sie ist, die Schuld. Wer hat hier die Verantwortung? Ich würde gerne den Chef sprechen, damit ich mich beklagen könnte. Ich habe einiges zu sagen. Zuerst würde ich klaren Tisch machen! Keine Entschuldigung. Keine faule Ausrede! Die Welt kann sich nicht auf ihre bloße Anwesenheit zurückziehen. Sie reagiert immerhin auf jede Bewegung, Veränderung und auf meine Vorschläge, die nicht zu dumm sind. Ich will nicht angeben, aber ich möchte immerhin erwähnen, dass ich zu einigen Verbesserungen beigetragen habe. Ich frage mich wirklich, wie ich so naiv sein konnte, zu glauben, dass sie das irgendwie berührt. Nein, keine Reaktion.
Sie hat ihren Plan. Sie geht ihren eigenen Weg. Ich spiele darin keine Rolle. Obwohl ich im allgemeinen das Spiel liebe. Oh, wie ich es genieße, die Herausforderung zu riskieren, die Chancen einzuschätzen, die Reaktionen der anderen abzuwägen und dann ganz alleine zu entscheiden! Es ist köstlich. Ein wahres Vergnügen! In engagiere mich, ich bringe mich ein, ich biete mich an. Nein, ich sage nicht, dass ich mich anbiedere. Das ist ein großer Unterschied. Ich bestehe darauf, ihn zu beachten. Ich meine, was ich sage! Also, erwarte ich auch, dass genau hingehört wird und wenn ich sage, ich biete mich an, dann meine ich das auch so! Das hat nichts mit Demütigung oder einer Art Prostitution zu tun. Eine Prostituierte kennt ihren Wert! So wie ich meinen! Wenn ihn andere nicht kennen, mache ich ihnen keinen Vorwurf daraus. Jede soll ihre eigenen Werte und Vorlieben haben. Da bin ich großzügig und verständnisvoll. Ich ziehe in die Welt, um sie zu bereichern. Ich lasse meine Talente rechts und links liegen.
Copie-de-IMG-0512.JPGDer Weg ist nicht eindeutig und da ich keine Kieselsteine und keine Brotkrumen bei mir habe, bleiben mir nur die Talente, um den Weg zu markieren. Ich habe nicht gelernt, die Spur mit der Nase aufzunehmen.
Ich gehe lieber unbeschrittene Wege. Warum also die Talente vergeuden? Anstatt mit ihnen den Rückweg offen zu halten, sollte ich sie nutzen, um die Zukunft zu erfinden.

Bisher war die Zukunft nur in meiner Vorstellung vorhanden, aber seit ich losgezogen bin und die Sache selbst in die Hand genommen habe, ist mir die Zukunft näher gekommen. Ich habe sie am Rockzipfel gepackt. Ich habe mir ja sagen lassen, dass die Zukunft nicht existiert. Nun, um genau zu sein, handelt es sich da um ein Wortspiel einiger Philosophen, die zwischen sein, werden und existieren unterscheiden.

Ich für meinen Teil kann nur versichern, dass es die Zukunft gibt. Soviel ist klar, denn ich habe Kontakt mit ihr aufgenommen. Nein, nicht als Wahrsagerin. Diese Art von Vorhersage widerspricht meinem ausgeprägten Freiheitsdrang. Wo kämen wir da hin, wenn jemand im Voraus wüsste, was ich morgen zum Frühstück esse? Da hätte ich ja keine Wahl mehr. Ich entscheide mich gerne spontan, kurz nach dem Aufstehen.

Allerdings muss ich zugeben, eine gewisse Sicherheit entnehme ich der Routine und der Wiederholung.

Ich rechne schon damit, dass nach der Nacht wieder ein Tag kommt. Ich gehe davon aus, dass die Sonne morgens aufgeht. Darauf verlasse ich mich. Damit kenne ich schon einen beträchtlichen Anteil an Zukunft. Aber das ist nicht das, was ich erwischt habe, als ich auszog, die Welt zu entdecken. Das Gegenteil ist mir passiert.

Das Unbekannte macht den Reiz der Zukunft. Die Vergangenheit lauert überall. Jeder Reiseführer will mich an historische Orte locken und dazu noch meine eigene Erinnerung. Sie begleitet mich auf meiner Entdeckungsreise. Ich konzentriere mich nach Vorne. Warum schaut der Engel der Geschichte nach hinten?

Falls die Zukunft aus der Vergangenheit besteht, hat sie mich übersprungen. Sie lag vor mir. Allerdings kam mir einiges daran bekannt vor. Ob ich ihr früher schon einmal begegnet sein sollte? Für mich hat sie eigentlich immer das große Unbekannte dargestellt, eben die Teile der Welt, die ich nicht kenne. Damit existiert sie auf eine gewisse Weise schon vor meiner Entdeckung und ist doch nicht für mich da.
Vielleicht täusche ich mich. Es könnte sein, dass ich meine Vergangenheit für die Zukunft halte. Warum glaube ich, dass die Sonne morgen wieder aufgeht, nur weil ich es heute morgen erlebt habe.
Ist der Rockzipfel, den ich von der Zukunft ergattert habe, nur die Verbindung meiner Erinnerung mit der Gewissheit der Wiederholung?
Dumme Frage! Habe ich doch selbst genug Überraschungen erlebt, um zu wissen, dass nichts reine Wiederholung des immer Gleichen ist. Größere Geister als ich haben sich schon damit beschäftigt. Und wenn sie nicht gestorben sind, wie Nietzsche, dann tun sie es noch heute. Ich werde mich nicht damit abgeben, alle wenn und aber zu wiederholen.

Ich will etwas erleben und dafür brauche ich die Zukunft. Jeder Buchstabe, der noch nicht auf dem Papier ist, verkörpert für mich ein Stück Zukunft. Wenn ich sage, dass ich die Zukunft am Rockzipfel gepackt habe, dann meine ich diesen Zustand, in dem meine Wünsche kurz vor der Erfüllung sind. Na ja, ich will nicht gleich übertreiben. Es muss nicht so geschwollen formuliert werden. Mein Kaffee, den ich gleich trinke, tut es auch. Er stellt sogar die Verbindung zur Vergangenheit her. In gewisser Weise kenne ich ihn schon und doch bedeutet er meine Zukunft. Da habe ich auch so manche Überraschung erlebt. War er doch nicht das, was ich erhofft hatte. Zu stark, zu heiß, zu süß oder wie auch immer nicht vorhersehbar im Geschmack. Also genau das, was mir passieren kann, wenn ich die Welt entdecken will.
 

Manchmal habe ich Schwierigkeiten, zwischen Vergangenheit und Zukunft zu unterscheiden.

 

Neulich, als ich Fotos ins Album geklebt habe, wollte ich sicher sein, dass ich meine Vergangenheit wahrheitsgetreu rekonstruiere. Ich habe also peinlich genau auf Orte und Daten geachtet. Ich mache hauptsächlich Fotos von besonderen Ereignissen. Den Alltag erinnere ich auch ohne diese Unterstützung. Die besonderen Ereignisse zählen für mich im Erinnerungswert ziemlich hoch. Ich klebe also meine Geburtstagsfotos ins Album und erwische ein Foto von meinem Lieblingskuchen. Das ist nicht schwer, da ich nur einen habe, gibt es zu jedem Geburtstag den selben. Nur hatte ich ihn nicht rechtzeitig festgehalten, so dass er mir runtergefallen ist und ich nicht mehr sagen konnte, welcher Geburtstagskuchen verloren gegangen ist. Das war der Tag , an dem ich beschlossen habe, meine Vorlieben und Gewohnheiten zu ändern. Und nicht nur sie, sondern im Nachhinein habe ich gleich mein Leben geändert.

Zum Beispiel, was die große Liebe anbelangt. Die habe ich früher gewechselt als meinen Lieblingskuchen, aber beide haben mir ähnliche Probleme bereitet. Was bleibt mir anderes übrig als eine Korrektur? Meine Fotoalben sind deshalb in Ringbüchern untergebracht, damit ich im Falle eines Falles etwas hinzufügen oder aussortieren kann. Ich habe zwar oben gesagt, dass ich meine Vergangenheit wahrheitsgetreu dokumentieren will, aber es kommt doch vor, dass ich Korrekturen vornehmen muss. So habe ich meine einstmals große Liebe neben die vielen anderen geklebt und ihr ihre Sonderstellung genommen. Sie wurde automatisch zu einer begrenzten Periode, nichts Absolutes, nichts Endgültiges, keine Fotos mehr nach der Trennung. Zählbare Einlage. Das ist nicht weiter schlimm. Das kann jeder passieren. Selbst die großen Maler wechseln ihre blauen Perioden gegen andere aus. Was mich als einziges daran stört, ist die Tatsache, dass mir die Vergangenheit dabei ein Schnippchen schlägt. Sie schleicht sich in die Zukunft ein. Jedes Mal wenn ich wieder mein Herz verliere, fängt die große Liebe Feuer und Flamme. Mann sollte meinen, dass ein gebranntes Kind das Feuer kennt. Bei mir ist das nicht so. Diesmal habe ich mir aber gesagt, du hast sie nur noch am Zipfel erwischt. Sie ist nicht mehr voll gegenwärtig. So stehe ich da, einen Zipfel Zukunft in der einen und einen Zipfel Vergangenheit in der anderen Hand. Beide verbergen ungeahnte Weiten, zum verwechseln ähnlich. Ich sollte mal wieder Freud lesen, dann würde ich vielleicht bei jeder neuen Begegnung mein Unbewusstes arbeiten sehen.

 

Die Lektüre spare ich mir, da das Unbewusste auch so tätig wird. Nur stelle ich immer gerne eine Ausnahme dar. Also suche ich auch hier ein Entkommen. Ich verlasse mich auf die Neuigkeiten, die mir die Umstände bescheren. Ich will Freud hier nicht unnötig klein machen oder vorschnell banalisieren. Ich will nur zu bedenken geben, dass ich mich gegenüber meinem Unbewussten nicht als Sklavin fühle. Ich lasse mich weder von der Zukunft, noch von der Vergangenheit dirigieren. Wenn ich mich aufmache, die Welt zu entdecken, dann entdecke ich meine eigene Erfindung des Unbewusstes. Ich spreche hier von mir und bin weit entfernt davon, eine allgemeine Wahrheit zu formulieren. Ich erwähne lediglich, dass ich auszog, die Welt zu entdecken und mit der Zukunft einen Zipfel von meinem eigenen Leben erwischt habe.
Wenn ich die Buchbinderei erfinden dürfte, würde ich die Seiten falten, damit man sie in verschiedener Reihenfolge lesen könnte. Ich weiß, dass es heute lächerlich erscheint, von Büchern mit fester Seitenfolge zu sprechen. Mit der modernen Technologie werden schon lange Romane geschrieben, bei denen Anfang und Ende austauschbar sind. Wenn ich meine Autobiographie schreiben werde, werde ich sie in einem Baukasten unterbringen, bei dem die Klötzchen verschoben und umgedreht werden können. Ich ziehe es vor, mein Leben nicht irgendwelchen BiographInnen zu überlassen, die vorgeben Tatsachen in der richtigen Reihenfolge zu erwähnen.

Ich dokumentiere hiermit meine Entdeckung der Zukunft in der gegenwärtigen Vergangenheit.

 

Oh je, ich schweife ab in Worthülsen. Ein Jammer, dass es nicht mehr möglich ist, einfach Geschichten zu erzählen, um die Wahrheit zu sagen. Alles erreicht schnell Dimensionen, die es mit der Welt auf sich nehmen. Dabei ist mein Leben nicht nur eins unter Vielen, sondern gerade das, ein besonderes einzigartiges unkopierbares Leben, das noch nicht abgeschlossen ist. Ich habe noch einiges vor und wenn es nur die Entdeckung der Welt sein sollte, so wäre ich nicht zufrieden. Ich will mehr.

Ich werde meine Autobiographie als Fiktion schreiben. Ich werde mein Leben erfinden.

 

Zum Beispiel:Als ich geboren wurde, habe ich beschlossen, die Welt zu entdecken. Nein, es müsste anders anfangen: Wenn ich geboren werde, könnte ich beschließen die Welt zu entdecken. Mit meiner Geburt werde ich die Zukunft in der Hand halten. Ich werde das Glück nicht suchen müssen, weil es schon andere vor mir und nach mir gefunden haben. Ich werde mir meinen eigenen Namen aussuchen, den ich schon habe. Mein Name ist Programm. Ich werde, was ich sage. Ich bin kurz vor der Zukunft. Wer meinen Namen errät, wird sich auch kurz vor der Zukunft befinden.

Publié dans Fragment

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